Geändert am: 21.02.2012
Pillernändls Apfelkiste

 

Mutter hatte gerade mit viel List dem zweijährigen Tonele das Grießmüslein Löffele für Löffele in den Mund gestopft, wischte die Reste aus seinem rosigen Gesicht und den kleinen Patschhändchen, die fleißig mitgeholfen hatten.

"Poldi, verschmierst mir schon wieder das ganze Fenster". "Von der Au herauf kommt der Briefträger", antwortete das sommersprossige Mädchen und wischte mit ihren patschigen Fingern über die blanken Vierecke im dunkelbraunen Fensterkreuz. "Der geht sicher ins Unterdorf", warf die Mutter ein. "Naa, der kommt zu uns", echote der fünfjährige Blondschopf am Fenster. Und schon rief er am Gatter vor dem Haus "grüß Gott Marianne" und schwenkte einen Zettel in der Hand. "Für Euch ist ein Pack am Bichlbacher Bahnhof". Mutter wischte sich die Hände an der buntgedruckten Küchenschürze trocken. "Das ist vom Pillernändl" lachte sie. "Vergelt's Gott" rief sie dem Postboten nach, der mit weit ausholenden Schritten den Auweg hinabstapfte.

Weit drunten im Inntal, zwischen Pill und der alten Bergwerkstadt Schwaz, liegen auf einem Höhenzug vier Ansiedlungen. Eine davon ist der Pillberg.

Hier war das Elternhaus meiner Mutter. Auf dem "Güt'l" ihres Vaters standen zwischen saftigen Wiesen auch einige Apfel- und Birnbäume. Wenn ein segensreiches Jahr war, schickte der Vater seiner Tochter eine große Kiste des Erntesegens. Im Nu hatten wir es im ganzen Dörf'1 ausposaunt. Mindestens zehn Kinder bemächtigen sich des Leiterwagerls. Friedl und Pepi, sein gleichaltriger Freund, bekamen die Verantwortung für die ganze Bande aufgehalst. Wir ratterten lachend und lärmend den holprigen Weg hinunter.

Links ragte der wild zerklüftete Rote Stein in den Himmel, ließ einen felsigen Übergang, "das Jöchle", zum Fernpaß frei, von wo unsere Urahnen gekommen sein sollen. Rechterseits hob sich der riesige steile Grashang, "der Bichlbächler Mähberg", bis zur mehr als zweitausend Meter hohen Bleispitze.

Unser Weg führte den wildschäumenden Kaltenbrunnbach entlang. Zweimal querten wir ihn über schwarzmoosige Holzbohlenbrücken und ratterten mit unserm Wagerle an Kleinstockach vorbei, durch das Tal, das jener Chronist als "wilde schaurige Schlucht" beschrieb, der Straße zu, die von Berwang nach Bichlbach führte. Die Kleineren konnten nun auf dem Wagerl Platz nehmen und schnellen Schrittes ging's am Fuß des Bichlbacher Mähbergs auf einer Abkürzung über die Felder dem Dorf zu. Wir liefen über die Hauptstraße und hatten nach einigen Minuten den Bahnhof erreicht.

Onkel Josef lachte über das ganze Gesicht, als er die wilde Fahrt ankommen sah. Unser Onkel, der Mann von Vaters Schwester, war hier Bahnvorstand. Ich war mächtig stolz darüber und als er mir die zerzausten Haare aus dem erhitzten Gesicht strich, kannte meine Bewunderung keine Grenzen. Unser Friedl musste ein großes Blatt unterschreiben, der Onkel half die Kiste auf dem Wagerle festmachen.

Und nun, - ja und nun durften wir alle in seinem Büro warten, denn gleich kam ein Zug. Er setzte sein rotes Kappl auf. Wir standen in Reih und Glied vor dem Bahnhofsgebäude, "baff, baff" kam das schwarze Ungeheuer vor unsern Augen zu Stehen. Onkel Josef redete mit dem Zugführer und als ein paar Männer mit schweren Rucksäcken ausgestiegen waren, schritt er die Waggons entlang, machte die Türen zu, hob seine Kelle und - mit zornigem Fauchen, dicke Rauchwolken ausspeiend, donnerte das schwarze Ungeheuer davon.

Der gute Onkel hatte für jeden von uns zum Abschied ein Zuckerle. Es war schöner wie Weihnachten. Am Heimweg hielten wir bei jeder Rast unsere Nasen an die Ritzen der Kistenbretter.

Dann stand die Kiste mitten in der Stube. Vater zog die Nägel aus den Brettln, die ganze Pracht roter Äpfeln und goldgelber Birnen quoll aus dem Holzbauch. Mutter setzte das Tonerle mit einer saftigen Birne in den Ofenwinkel. Sie nahm ein Brieflein aus der Kiste, zog sich in die Fensterecke beim Herrgottswinkel zurück und hatte die lärmende Schar in der alten Stube vergessen. Die Mädchen durften ihre Schürzen voll Äpfel mitnehmen, die Buben steckten die Hosensäcke voll. Weil jedes Bauernbüblein zur damaligen Zeit sein Lodenhütlein aufhatte, durften sie auch diese voll füllen. An diesem Abend kochte uns Mutter einen Apfelschmarrn. Das Gesicht von der Herdglut noch etwas gerötet, mit einem glücklichen Lächeln, setzte sie die große Eisenpfanne mitten auf den runden Stubentisch. "Lieber Jesus, sei unser Gast ..", beteten wir im Chor, mit allen Sinnen schon in der Pfanne voll zuckerbestäubter Köstlichkeit. Da war's mir einen Augenblick, als hätte er herunter gelächelt oder hatte der letzte Strahl der Sonne, die eben hinter dem Almschroffen verschwand, sein Gesicht da oben auf dem Kreuz gestreift?

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